ULRICH ROON - Gedichte und Gedanken, Blatt 1 | Weite - Schicksal



GEDICHTE und GEDANKEN von ULRICH ROON

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Es wird nicht alles immer besser,
aber du wirst mit allem immer besser fertig.




WEITE

Die Nebel liegen schweigend auf dem grauen Land,
Und Wolken ziehn am farbenmatten Himmelsrand.
Die Ohren lauschen auf das Säuseln in der Luft,
Die Nase spaltet mühsam hundertfachen Duft.

Voll Ahnung bohren sich die Augen durch das Grau,
Doch sehen sie mehr Schatten als die Form genau,
Die Ahnung bleibt, ein Bild nur aus Erinnerung,
In der die graue, müde Welt noch liegt wie jung,

Wie prächt'ge Auen, die in weite Ferne weisen,
Voll zarter Schönheit, Licht und Farben, Wein und Speisen,
Die alle Wesen in dem Brudermahl vereinen:
Da lebt kein Sorgen mehr, kein Klagen oder Weinen.

Doch Nebel hüllen diese lichten Bilder ein,
Und wandeln langsam sie so dunkel und so klein,
Bis die Erinnerung nur Schatten noch gebiert,
Und endlich auch das dünnste Bild die Form verliert.

Ganz tief im Herzen bleibt des reichen Bildes Glanz
Und drängt uns unaufhaltsam zu dem hohen Tanz
Der sel'gen Geister in unendlich klarem Licht
In schöner, freier, unbeschreiblich weiter Sicht.

So führen uns die matte, scheue Zuversicht
Und frohe Ahnung von dem unsagbaren Licht
Durch graue Nebel, mattes Säuseln, zarten Duft
Und dunkles Land hinauf in reine, klare Luft,

Wo unsre Seelen lebensvollen Atem schlürfen,
Wo sie in satte, bunte Weiten tanzen dürfen,
Vergessen alle Enge, Dunkel, Not und Qual:
Nun feiern Hochzeit sie im weiten Himmelssaal.

Ulrich Roon




SCHICKSAL

Leise an dein Fenster pochen
Tropfen, schlagen ihre Zahl,
Kommen sanft dahergekrochen:
Kein Entrinnen, keine Wahl,

Wenn sie ihre Takte schlagen.
Ohne Zögern, ohne Halt,
Klopfen sie dir ohne Fragen,
Ob sie später oder bald

Ihr Gesetz zum Recht erheben
Dürfen, oder ob sie ganz
Unerwünscht sind und das Leben
Stören in dem wilden Tanz

Um Vergnügen, eitle Freuden,
Lust und Wonne, Macht und Geld,
Ob sie bringen Trost, ob Leiden,
Oder ob ein Traumbild fällt.

Durch der Weite enge Gassen
Weisen sie dir deine Bahn.
Deine Tat ist, zuzulassen
Und ihr Pochen zu bejahn.

Tust du dies mit Trotz und Murren,
Bleibt das Glück dir unbekannt,
Hilft kein Wehren, Kämpfen, Knurren,
Und du leidest an dem Band,

Das dich liebevoll begleitet,
Dir die guten Wege weist
Und dir inn'res Glück bereitet,
Dich mit allem Nöt'gen speist.

Sei nicht zaghaft, diese Tropfen
Zu begrüßen, ihre Zahl
Und ihr Drängen, Fragen, Klopfen
Anzusehn als deine Wahl.

Deine müden, schwachen Augen
Sehen nur ein winz'ges Stück.
Für das Ganze sie nicht taugen:
Traue nur des Himmels Blick.

Ulrich Roon




Wer die unsichtbare Wirklichkeit nicht wahrnimmt,
lebt wie ein Einäugiger,
der Entfernungen nicht abschätzen kann.

Ulrich Roon





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